Haben Sie die Aufgabe, als Leistungsnachweis ein Seminarprotokoll zu schreiben, ist Folgendes zu beachten:
Seminarprotokolle werden – vor allem im Grundstudium – oft verlangt, wenn es um den Erwerb von Leistungsnachweisen geht. Aber das Protokoll hat darüber hinaus eine Funktion für die Veranstaltung selbst, und ein gutes Protokoll zeichnet sich dadurch aus, dass es dieser Funktion gerecht wird.
Leider meinen viele Studierende, dass das Protokoll einer Seminarsitzung nur eine Angelegenheit zwischen ihnen und dem Dozenten ist; und leider verhalten sich auch manche Dozenten so. Der ursprüngliche gute Sinn eines Protokolls hingegen ist die Dokumentation des Seminarverlaufs, sowohl für die Teilnehmer des Seminars (den Protokollanten und den leitenden Dozenten eingeschlossen), als auch für Dritte, die sich darüber informieren wollen. Aus einer guten Protokollierung seines Seminars kann der Seminarleiter Rückmeldung gewinnen, die er braucht, um seine inhaltliche Planung und den tatsächlichen Verlauf zueinander in Beziehung zu setzen. Sie kann ihm außerdem von großem Nutzen sein, wenn er später wieder einmal eine Veranstaltung zum gleichen oder einem ähnlichen Thema vorhat. Werden die Protokolle in einer Mappe (oder in einem Bereich auf der Website) gesammelt und allen Seminarteilnehmern zugänglich gehalten, können diese sich problemlos über den Inhalt versäumter Sitzungen informieren. Überdies halten Protokolle das ganze Semester über den Gesamtzusammenhang der Seminarinhalte präsent (falls ein solcher besteht). Sofern von ihnen entsprechender Gebrauch gemacht wird, verringert sich die Gefahr, dass der Horizont der einzelnen Teilnehmer jeweils nur auf den Umkreis des von ihnen besonders behandelten Themas beschränkt bleibt und sich der Gesamtzusammenhang der Themen im Seminar in isolierte Bruchstücke auflöst.
Gegenüber der Funktion des Protokolls als Leistungsnachweis geht dieser gute Sinn des Protokollierens oft verloren. Da es der Seminarleiter ist, dem das Protokoll zur Begutachtung ausgehändigt wird, denkt sein Verfasser auch oft nur daran, wie dieser es wohl aufnimmt. Man schreibt an die Adresse des Seminarleiters.
Darin liegt die Gefahr, dass die beiden Zielsetzungen: die, dem Seminarleiter zu zeigen, was man zu leisten vermag, und die, eine für die anderen Seminarteilnehmer oder außen stehende Dritte verständliche und hilfreiche Inhaltsangabe des Verlaufs der Seminarsitzung zu liefern, miteinander in Konflikt geraten. Sie versuchen vielleicht, dem Seminarleiter durch den Gebrauch von Fachausdrücken zu imponieren, die normalen Sterblichen nicht ohne weiteres verständlich sind, nach dem Motto: Wir beide (der Seminarleiter und ich) wissen schon, was gemeint ist. Es ist aber ein großer Unterschied, ob der Seminarleiter etwas aus dem Protokoll herauslesen kann, ob er sein Seminar darin wiedererkennt, oder ob andere Teilnehmer oder Außenstehende damit etwas anfangen können.
Ein Protokoll, das nicht nur für den Seminarleiter oder die anwesenden Seminarteilnehmer gedacht ist, darf nicht voraussetzen, dass man die Seminarsitzung besucht haben muss, um zu verstehen, worum es geht. Im Gegenteil, es sollte so abgefasst sein, dass es jemandem, der nicht dabei war, das Wesentliche vermittelt, ohne mehr vorauszusetzen, als die Seminarteilnehmer selbst in die Sitzung mitbringen mussten, um ihr folgen zu können. Wenn Sie ein solches Protokoll schreiben müssen, geben Sie es jemandem zu lesen, der nicht dabei war, und bitten Sie ihn, offen zu sagen, ob er alles versteht und ihm klar wird, worum es in der Sitzung ging.
Versuchen Sie zuvor, die Vorstellungen des Seminarleiters über den Charakter des Protokolls zu erfragen:
Die Unterscheidung zwischen Verlaufs- und Ergebnisprotokoll zielt darauf, dass ein Protokoll entweder den gesamten Darstellungs-, Argumentations- und/oder Diskussionsverlauf wiedergibt oder sich darauf beschränkt, die hauptsächlichen Ergebnisse festzuhalten. Die Unterscheidung hört sich leichter an, als sie ist.
Da ja auch ein Verlaufsprotokoll keine wörtliche Stenografie all dessen sein soll, was im Seminar überhaupt gesagt wurde, verlangt es vom Protokollanten eine Entscheidung darüber, was als „wichtiger“ Beitrag zum Seminar anzusehen ist. Aber was ist „wichtig“ in einem Seminar?
Ebenso schwierig wie die Frage, was zum Verlauf eines Seminars gehört, ist die Frage zu beantworten, was denn Ergebnisse in einem Seminar sind. Es ist nun mal – vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften – nicht so, dass Wissenschaft eindeutige Ergebnisse zeitigt. Es mag sein, dass eine Seminarleiterin die Veranstaltung so regiert, dass als Ergebnis immer das gilt, was sie als solches vorgesehen hat. Eine Seminardiskussion hätte also dann ein Ergebnis, wenn sie zu einer von der Leiterin für richtig gehaltenen Position gelangt. Es ist in solchen Fällen gelenkter Diskussion sicher angebracht, in einem Ergebnisprotokoll diese Stationen festzuhalten; die Seminarleiterin wird es dann so erwarten und damit zufrieden sein.
Bei einer weniger gelenkten und offeneren Diskussion wird es weitaus schwieriger sein, so etwas wie Ergebnisse festzuhalten. Die Diskussion mag hierhin und dorthin gehen; man einigt sich nicht; der Dozent hält sich heraus oder bekennt zwar seine Auffassung, will diese aber nicht verbindlich machen usw. Was Sie dann festhalten können, sind allenfalls gewisse Schwerpunkte der Diskussion und die dazu geäußerten, eventuell voneinander abweichenden oder einander widersprechenden Positionen.
Ob Verlaufs- oder Ergebnisprotokoll – das Protokollieren erfordert in jedem Falle von Ihnen hohe Konzentration. Sie müssen nicht nur ständig voll wach dabei sein (was Ihnen sonst in der betreffenden Veranstaltung vielleicht schwer fallen mag). Sie müssen auch immer ganz auf dem Laufenden sein, wie das gerade Behandelte im Zusammenhang steht mit dem Gesamtthema, und müssen beim Zuhören schon in gewissem Maße strukturieren. Sie können sich in einer ähnlichen Position sehen wie ein Gesprächsleiter, der ebenfalls ständig die Übersicht über Struktur und Zusammenhang einer Diskussion behalten muss.
Ganz übel ist natürlich, wenn Sie nicht mitbekommen, worum es geht, weil Sie es nicht verstehen. Daher: Wenn jemand sich für Sie unklar ausdrückt, die Sache aber wichtig zu sein scheint für das Protokoll, fragen Sie sofort zurück – als Protokollant haben Sie das Privileg, dazwischen zu fragen, ohne sich an eine Rednerliste halten zu müssen. Der Betreffende möge noch einmal langsam und deutlich so formulieren, dass Sie es für das Protokoll mitschreiben können. Fehlt Ihnen dazu der Mut oder wollen Sie nicht einen längeren Monolog des Seminarleiters oder eine gerade entbrannte Diskussion unterbrechen, dann sehen Sie zu, dass Sie nach der Sitzung herausbekommen, worum es ging (wenn es immer noch als sehr wichtig erscheint). Vielleicht erschließt es sich Ihnen ja im Nachhinein aus dem Gesamtverlauf der Sitzung. Sonst versuchen Sie doch, den- oder diejenigen, deren Beiträge Ihnen unverständlich blieben, anzusprechen: „Entschuldige(n Sie), ich habe das Protokoll zu schreiben und möchte sicher gehen, dass ich vorhin in der Sitzung Deinen (Ihren) Beitrag auch ganz richtig verstanden habe; es ging doch um ... (Stichwort). Kannst Du (können Sie) mir noch einmal ganz kurz Deine (Ihre) Position erläutern?“ Unter vier Augen fällt es dann wahrscheinlich auch leichter, weitere Verständnisfragen zu stellen.
Die an der Hochschule Lehrenden können Ihnen nicht alles präsentieren, was zu einem Thema an wissenschaftlichen Theorien und Befunden vorliegt. Abgesehen davon, dass sie natürlich selbst nicht alles kennen, was es da gibt, werden sie auch auf vieles, das ihnen durchaus bekannt ist und interessant erscheint, nur Hinweise geben.
In der Regel handelt es sich um Literaturverweise. Falls er es nicht von sich aus tut, bitten Sie den Seminarleiter um die genaue Literaturangabe (genau heißt, dass die Angaben ausreichen, das betreffende Werk in der Bibliothek ausfindig zu machen oder über Fernleihe zu bestellen). Wenn er die Angaben nicht im Kopf hat, bitten Sie ihn, sie Ihnen für das Protokoll nachzureichen. Das gleiche gilt natürlich, wenn Literaturhinweise von Seminarteilnehmern kommen. Sonst müssten Sie versuchen, die Angaben selbst herauszubekommen. Handelt es sich um einen Verweis auf eine bestimmte, nicht allzu umfangreiche, aber wichtige Quelle oder einen wichtigen Textabschnitt im Werk eines Autors, wäre es natürlich sehr hilfreich, wenn Sie diese Quelle beziehungsweise diesen Ausschnitt den Lesern des Protokolls zugänglich machen könnten, sei es durch eine Abschrift (wenn der Umfang nicht zu groß ist), sei es, dass Sie dem Protokoll eine Kopie beifügen. Aber wie gesagt, dies ist nur angebracht, wenn der weiterführende Hinweis nicht auf einen Nebenpfad führt oder sonstwie exotischen Charakters ist.
Normalerweise haben Sie für ein Protokoll nicht allzu viel Zeit, in der Regel wohl nur ein paar Tage. Denn wenn es seinen Zweck im Rahmen des Seminarverlaufs erfüllen soll, muss es den Interessenten möglichst rasch vorliegen. Von daher kann man vom Protokollanten im Regelfall nicht erwarten, dass er zeitraubende Recherchen anstellt, um vage oder unpräzise Hinweise des Seminarleiters in brauchbare Angaben umzusetzen.
Die wörtliche Wiedergabe von Textauszügen ist immer dann sinnvoll, wenn ein Referat oder die Seminardiskussion sich auf den Wortlaut eines Textes beziehen, vor allem also bei Textanalysen und Textkritik. Werden nun Positionen, Argumente und Diskussionsergebnisse protokolliert, ist es für den Leser sehr erleichternd, die betreffende referierte, diskutierte oder kritisierte Passage jeweils gleich mitgeliefert zu bekommen, ohne sie im Text suchen oder sich überhaupt erst den betreffenden Text besorgen zu müssen. Geht es um nur kurze Textpassagen, kann man sie in den laufenden Protokolltext einfügen; sonst sollte man sie als Anhang dazu geben. Aber versichern Sie sich, dass es dem Seminarleiter recht ist, wenn Sie so vorgehen.
An sich hat ein Protokoll nur die Aufgabe, eine Seminarsitzung so wiederzugeben, wie sie stattgefunden hat, ohne dem etwas hinzuzufügen. Ihre eigenen Gedanken zum Thema haben darin nur etwas zu suchen, wenn Sie sie in der Sitzung auch geäußert haben. Ansonsten sollten Sie sich jeder Stellungnahme und Bewertung strikt enthalten.
Es mag aber sein, dass es der Seminarleiter gut findet, wenn Sie über das eigentliche Protokoll hinaus die Gedanken, die Sie sich zum Inhalt der Sitzung gemacht haben und die Ihnen vielleicht erst später bei der Ausformulierung des Protokolls gekommen sind, ebenfalls zu Papier bringen und abgeben. Diese Ergänzung muss dann aber deutlich vom eigentlichen Protokolltext getrennt werden und als zusätzliche Überlegung des Verfassers gekennzeichnet sein.
Ein Protokoll, das seine Aufgabe für das Seminar erfüllen soll, muss möglichst bald vorliegen. In der Regel stehen also für die Ausformulierung nur wenige Tage zur Verfügung. Das Beste ist, Sie schieben die Abfassung gar nicht erst hinaus, sondern machen sich an die Arbeit, solange Ihre Erinnerung an die Sitzung noch frisch ist. Von der Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, hängt auch ab, wieweit Sie noch zusätzliche Recherchen anstellen können, um Ihr Protokoll anzureichern. Klären Sie den spätest möglichen Abgabetermin auf jeden Fall mit dem Seminarleiter, damit weder er noch Sie böse Überraschungen erleben.