Subjektivität des eigenen Denkens und Objektivitätsanspruch der Wissenschaft

Nicht alle eigenen Gedanken sind potenzieller Stoff der Wissenschaft. (Vielleicht ist es sogar nur ein kleiner Teil.) Bedeutsam für die Wissenschaft können nur solche „eigenen Gedanken“ werden, die in sich einen Objektivitätsanspruch tragen, also keine individuelle Spinnerei darstellen, sondern eine Geltung beanspruchen, welche die Innenwelt des Individuums übersteigt.

Dazu müssen sie auf ihren Realitätsgehalt geprüft und der Diskussion ausgesetzt werden, Vorgänge, die uns aus der Alltagspraxis aufgeklärter Bürger vertraut sind. Ein Wissenschaftler unterscheidet sich von einem normalen selbstständig denkenden Menschen nur darin, dass er seine eigenen Gedanken systematisch auf ihre objektive Geltung überprüft, also zu Erfahrungsgehalten und den Gedanken anderer in Beziehung setzt und mit ihnen konfrontiert. Er macht sich also nicht nur seine eigenen Gedanken, sondern auch die Erfahrungen und Gedanken anderer zu eigen. Er vollzieht sie nach und prüft, welche Bedeutung sie für seine eigenen Gedanken haben; das ist dann individuelle Theoriebildung. Und er versucht, anderen seine Gedanken zu übereignen und so seinen Anteil zu leisten zur kulturellen Bildung einer Gesellschaft.

Die eigenen Gedanken, die sich Wissenschaftler machen, sind also durch eine intensive soziale und erfahrungsbezogene Auseinandersetzung hindurchgegangene und hierdurch wissenschaftlich gebildete und bildende Gedanken. Deshalb ist eine originelle Idee, deshalb sind Gedanken, die man anderen nicht mitteilen kann, deshalb ist aber auch die bloße Reproduktion der Gedanken anderer Wissenschaftler oder von empirischen Daten nicht schon Wissenschaft.

Was heißt dies nun für das „wissenschaftliche Arbeiten“ im Studium der Pädagogik?

  • Bereitschaft, sich seine eigenen Gedanken zu machen (Mut zur eigenen Position, Bereitschaft, sich der Anstrengung des eigenen Denkens zu unterziehen),
  • Bewusstmachung der Bedeutung und Konsequenzen des wissenschaftlichen Objektivitätsanspruchs (Klarheit über das Verhältnis des Gedankens zur Wirklichkeit, über seinen Erfahrungsgehalt und Realitätsbezug; und Klarheit über die Einbindung des eigenen Denkens in die geistige Kultur einer Gesellschaft, die über seine argumentative Überzeugungskraft erfolgt),
  • Vertrautmachen und Auseinandersetzung mit den Gedanken Anderer (mit existierenden wissenschaftlichen Theorien), und zwar in der Weise des Nach-Denkens (des Nachvollzugs ihrer Genese statt bloßer Übernahme ihrer fertigen Resultate),
  • Mitteilung und Weitergabe der eigenen Gedanken so, dass andere ihre Tatsachenbehauptungen überprüfen, ihren Argumentationsgang nachvollziehen können. (Hierzu gehört auch, auf die Vermittlungsqualität bei der Präsentation der eigenen Überlegungen zu achten.)