Beschreibung, Interpretation und Erklärung
Beschreibungen von Tatbeständen sind etwas anderes als Behauptungen von Tatbeständen. Sie selbst mögen noch so sehr davon überzeugt sein, dass der Sachverhalt genau so zutrifft, wie Sie ihn darstellen. Für den Leser gilt nur, was er nachprüfen und nachvollziehen kann. Die Grundlage der Beschreibung (statistisches Material, dokumentarisches Material, Erfahrungsberichte anderer, eigene Recherchen) ist daher stets offenzulegen. Wo das Beschriebene nicht lückenlos zu belegen ist, wo also Behauptungen ins Spiel kommen, muss dies kenntlich gemacht werden.
Beschreibungen sind zudem klar zu trennen von Erklärungen und Interpretationen. Sie können darlegen, dass dort, wo es besonders viele Störche gibt, auch die Geburtenrate besonders hoch ist. Mit statistischen Mitteln lässt sich vielleicht eine Korrelation feststellen und ein niedriger Wahrscheinlichkeitsgrad angeben dafür, dass dieses gemeinsame Auftreten zweier Phänomene rein zufälliger Natur ist. Das ist alles noch Beschreibung, die anhand statistischer Erhebungen und durch Anwendung des statistischen Instrumentariums von jedem Leser nachvollzogen werden kann. Was die Beschreibung nicht hergibt und was daher zunächst nicht belegt ist, ist die Behauptung eines Zusammenhangs zwischen dem einen (Häufigkeit der Störche) und dem andern (Geburtenrate). Dass dort ein Zusammenhang bestehen könnte („Das kann doch kein Zufall sein!“), ist bereits eine Interpretation, durch welche die Daten in einem bestimmten Licht erscheinen.
Beschreibung und Interpretation zu trennen, ist kaum möglich. Sobald Sie etwas beschreiben, verleihen Sie ihm auch schon Bedeutung; sonst könnten Sie es gar nicht beschreiben. Dennoch sollten Sie immer reflektieren, ob die Bedeutung, die Sie dem Beschriebenen geben, wirklich die einzig mögliche ist. Falls Sie denken, dass das nicht der Fall ist, sollten Sie deutlich machen, dass dies Ihre Interpretation der Tatbestände ist; und dass es andere geben könnte. Darin unterscheidet sich wissenschaftliches vom journalistischen Schreiben.
Sie können sich nun durch die geringe Wahrscheinlichkeit für eine Zufälligkeit des beobachteten Tatbestands dazu motiviert fühlen, nach einer Erklärung zu suchen, die einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen belegt. Eine solche Erklärung kann selbst wieder eine Tatsachenfeststellung sein oder eine Theorie, die mehr oder weniger zwingend diesen Zusammenhang beweist. Solange die Erklärung nicht auch wiederum vom Leser als zwingend nachvollzogen werden kann, ist sie für ihn nur Behauptung. Eine Behauptung, von der geprüft werden soll, ob und wie man sie belegen beziehungsweise beweisen kann, nennt man eine Hypothese.
Nehmen wir an, Sie hätten Störche dabei beobachtet, wie sie Babys vor Haustüren abgelegt haben. In diesem Falle könnten Sie eine schlüssige Erklärung für die Korrelation abgeben, die durch eine Tatsachenfeststellung begründet ist: Kinder bringt der Klapperstorch. Das ist eine durch empirische Tatsachen gestützte Kausalerklärung für eine Korrelation: Das eine Phänomen (überdurchschnittliche Storchpopulation) ist kausale Ursache für das zweite Phänomen (überdurchschnittliche Geburtenrate). Das Problem ist nur: Außer vielleicht Ihren eigenen Kindern (wenn Sie welche haben) wird Ihnen das niemand glauben. Sie müssten die Störche schon dabei gefilmt haben; oder die gleich lautenden Beobachtungen von vielen unabhängigen Beobachtern anführen können.
Eine andere Möglichkeit wäre eine theoretische Erklärung. Die könnte vielleicht so lauten: Störche kommen immer im März. Im März ist auch die Geburtenrate besonders hoch. Dass die Störche immer im März kommen, hängt mit deren jahreszeitlichen Wanderungsbewegungen zusammen. Dass besonders viele Kinder im März geboren werden, hängt mit einem bestimmten wiederkehrenden Ereignis ca. 9 Monate vorher zusammen, nämlich der Sonnwendfeier im Juni, einem rauschenden Fest, das – ähnlich wie Karneval – regelmäßig damit endet, dass Menschen einander sehr nahe kommen, so nahe, dass die Steigerung der Geburtenrate 9 Monate später als natürliche Folge erklärbar ist. In diesem Falle wird erklärt, wieso zwei Phänomene korrelieren können, obwohl sie kausal nicht miteinander zusammen hängen.
Beschreibungen, Hypothesen und (empirisch oder theoretisch abgesicherte) Erklärungen gehören zur wissenschaftlichen Darstellung. Sie müssen jedoch immer deutlich voneinander unterschieden werden. Behauptungen hingegen haben nur dann etwas zu suchen in wissenschaftlichen Arbeiten, wenn sie hypothetisch eingeführt werden, also als wissenschaftliche Lücken, die es in nachvollziehbare Tatsachenfeststellungen oder Erklärungen zu überführen gilt.